Geschichte
Das Christentum verbreitete sich auf der Balkanhalbinsel bereits seit der apostolischen Zeit. Das größte Verdienst dabei kommt dem hl. Apostel Paulus zu.
Nach der Gründung des Bulgarischen Staates (681 n.Chr.) festigte sich der christliche Glaube weiter in der lokalen Bevölkerung. Gefördert wurde dieser Prozess durch die Beziehungen Bulgariens zu Byzanz, durch die Verwendung der griechischen Sprache bei uns, durch den Austausch von Gefangenen u.a.
Aus innenpolitischen (vor allem die Vereinigung der Slawen und Bulgaren) und außenpolitischen (hauptsächlich die Anerkennung Bulgariens durch die übrigen europäischen christlichen Staaten) Gründen und auf Grund persönlicher Überzeugung von der Wahrheit des christlichen Glaubens nahm der bulgarische Fürst Boris (852-889) im Jahre 864 das Christentum aus Byzanz an. Unmittelbar danach erfolgte die Taufe des ganzen Volkes.
Mit diesem historischen Akt begann eine neue Epoche in der Geschichte des bulgarischen Volkes. Fürst Boris setzte sich intensiv für die Festigung des Christentums auf dem Territorium Bulgariens ein. Darüber hinaus bemühte er sich nicht nur um die Autonomie der Bulgarischen Kirche, sondern sogar um ihre Autokephalie, obwohl er sich bewusst war, dass er sie nicht erhalten konnte. Mit dem Ziel der Unabhängigkeit der Bulgarischen Kirche vor Augen, führte er als hervorragender Diplomat Verhandlungen mit beiden damaligen kulturellen und kirchlichen Zentren - Rom und Konstantinopel. Das Resultat war die am 4. März 870 beendete Synode von Konstantinopel, auf der auch Vertreter Roms anwesend waren und welche die Bulgarische Kirche feierlich als autonom - an achter Stelle innerhalb der östlichen Kirchen - proklamierte.
Die Bulgarische Kirche war zuerst ein autonomes Erzbistum unter der Jurisdiktion des Patriarchats von Konstantinopel, von dem es seinen ersten Erzbischof namens Iosif erhielt; es erhielt auch Priester, Diakone und handgeschriebene gottesdienstliche Bücher.
Nach einigen Jahren (886) wurden die hervorragendsten Schüler der heiligen Brüder Kyrill und Method - der Begründer des slawischen Alphabets und Schrifttums - auf dem Gebiet Bulgariens freudig aufgenommen. Sie begründeten die beiden kirchlich-literarischen Zentren Preslav und Ochrid, die in verhältnismäßig kurzer Zeit eine reiche spirituelle Bildungstätigkeit entfalteten, die als ‘Goldenes Zeitalter’ der bulgarischen Literatur in die Geschichte eingegangen ist. Als Resultat dieser Tätigkeit wurde auf der Synode von Preslav (893) die bulgarische Sprache als offizielle Sprache der Kirche und des Staates angenommen.
Der Traum des Fürsten Boris von der Autokephalie erfüllte sich unter dessen Sohn Simeon (893-927). Im Jahre 927 erhielt die Bulgarische Kirche die Autokephalie und die Patriarchenwürde.
In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wurde aus kriegspolitischen Gründen die Residenz des bulgarischen Patriarchen von der Hauptstadt Preslav zuerst nach Drastar, dann nach Triadica (heute Sofia), Voden, Maglen, Prespa und schließlich nach Ochrid verlegt.
In der Zeit der byzantinischen Herrschaft (1018-1186) konnte die Bulgarische Kirche ihre Autokephalie bewahren, jedoch nicht als Patriarchat, sondern als Erzbistum. Als solches existierte es bis zum Jahr 1767, als es vom Patriarchat von Konstantinopel liquidiert wurde.
Der erfolgreiche Aufstand der Brüder Petar und Asen in den Jahren 1185-1186 führte zum Gründung des Zweiten Bulgarischen Reiches mit der Hauptstadt Tirnovo.
Auf der Suche nach der Kontinuität mit den kirchlichen Zentren Preslav und Ochrid und auch von politischen Überlegungen geleitet, bemühten sich Kleriker und Laien um die Wiederherstellung des Bulgarischen Patriarchats. Zuerst wurde ein selbständiges Erzbistum in Tirnovo errichtet. Später im Jahre 1235 wurde auf der Orthodoxen Synode in der Stadt Lampsak, Kleinasien, die Patriarchenwürde in der Bulgarischen Kirche wieder hergestellt.
Im Zweiten Bulgarischen Reich erfüllte die Kirche ehrenvoll ihre Aufgaben, sie setzte das Werk der kirchlichen Bildung in den Literaturschulen in Ochrid und Preslav in der Literaturschule von Tirnovo fort. Ihre Hauptvertreter waren der ehrwürdige Teodosij von Tirnovo (+1362) und sein Schüler Evtimij, Patriarch von Tirnovo (+1404), bedeutsame Erfolge wurden auf dem Gebiet der Architektur und Malerei errungen.
Nach dem Fall Tirnovos unter die osmanische Herrschaft (1393) und der Einkerkerung des Patriarchen Evtimij verlor die Bulgarische Kirche ihre Autokephalie und wurde in eine Diözese des Patriarchats von Konstantinopel umgewandelt. Das zweite bulgarische kirchliche Bildungszentrum Ochrid existierte - wie schon erwähnt - bis zum Jahre 1767 und blieb die ganze Zeit eine feste Stütze des Glaubens, der Frömmigkeit und des Nationalbewusstseins.
Während der fast 500-jährigen osmanischen Herrschaft (1393-1878) existierte die Bulgarische Kirche nicht als offizielle Institution. Dennoch übte der orthodoxe Glaube durch die nicht der Zerstörung anheim gefallenen Kirchen und vor allem durch die über das ganze bulgarische Land verstreuten zahlreichen bulgarischen Klöster weiterhin seinen wohltuenden Einfluss nicht nur auf die christliche Religion aus, sondern auch auf das Nationalbewusstsein des seiner Freiheit beraubten bulgarischen Volkes. Die Klöster waren nicht verlöschende geistliche Leuchten, die den Glauben und die Vaterlandsliebe stärkten. Dabei spielten die Athos-Klöster Zograf und Chilandar und die Klöster von Rila, Trojan, Drjanovo, Cherepish, Glozhen, Dragalevci und viele andere eine besondere Rolle.
In der ganzen Zeit der osmanischen Herrschaft erwuchsen aus dem orthodoxen bulgarischen Volk viele Märtyrer für Glaube und Volk. Unter ihnen ragen besonders der hl. Georgi von Kratovo (+1515), der hl. Nikolaj von Sofia (+1555), der Bischof Visarion von Smoljan (+1670), der hl. Damaskin von Gabrovo (+1771), die hl. Zlata von Maglen (+1795), der hl. Onufrij von Gabrovo (+1818) und viele andere hervor, deren Namen nur Gott kennt.
In vielen der bulgarischen Klöster wurden Klosterschulen eröffnet, wie es auch Pfarrschulen in einer Reihe von selbstbewussten bulgarischen Orten gab, z. Bsp. in Trjavna, Vraca, Gabrovo, Sofia, Plovdiv, Samokov, Kalofer u.a.
In mehreren Klöstern entwickelten sich neben der religiösen Bildung auch patriotische Aktivitäten, deren Ziel die Befreiung von der osmanischen politischen Herrschaft war. In dieser Beziehung leisteten die später von der Bulgarischen Kirche heiliggesprochenen Paisij von Chilandar (1722-1773) mit seiner ‘Slawobulgarischen Geschichte’ und Bischof Sofronij von Vraca (1739-1813) u.a. einen großen Beitrag. Wie sie hat sich auch eine Reihe anderer begeisterter religiöser Volksbildner bemüht, einen Beitrag zur politischen Freiheit zu leisten, die der Garant für die volle und allseitige Verwirklichung der Einzelpersönlichkeit und des Staates im ganzen ist.
Das Endergebnis des jahrzehntelangen kirchlich-nationalen Kampfes mit seiner national-politischen Ausrichtung waren die Errichtung des Bulgarischen Exarchats im Jahre 1870 und die Befreiung des bulgarischen Volkes vom osmanischen Joch in den Jahren 1877/1878.
Das Bulgarische Exarchat erwies sich als jener kirchenpolitische Brennpunkt, der die Quintessenz des Religiösen und Nationalen im leidgeprüften bulgarischen Ethnos sublimierte und ihm Kraft und Mut zur Erreichung der nationalen Freiheit einflößte. In dieser Beziehung wird die Rolle des Exarchats allgemein anerkannt und gebührend gewürdigt.
Neben den orthodoxen Christen in Bulgarien, die ca. 85 % der gläubigen Bevölkerung ausmachen, gibt es auch andersgläubige Christen (Armenier, Katholiken, Protestanten mit ihren verschiedenen Richtungen), Anhänger anderer Weltreligionen (Juden und Muslime) und auch andere religiöse Gemeinschaften (Spiritisten, Danov-Anhänger, Theosophen) und in der letzten Zeit auch Anhänger der Baha’i-Religion, der Krishna-Bewegung, Scientologen u.a.
Beachtung verdient auch die unbestreitbare Tatsache, dass - wie in der Vergangenheit - auch heute die verschiedenen religiösen Gemeinschaften - christliche und nichtchristliche - bei uns ein relativ friedliches Verhältnis zueinander haben und es zu keiner religiösen Konfrontation und Feindseligkeit kommt. Das bedeutet nicht, dass die Orthodoxen, die traditionell die verbreitetste Konfession darstellen, ihren Glauben kompromittieren. Nein, sie lassen es zu, dass jeder seinen Glauben annimmt und bekennt, aber wenn das auf Kosten ihres Bekenntnisses geschieht und ihr Glaube beleidigt wird, reagieren sie entsprechend, ohne dabei die religiösen Gefühle zu verletzen, wer immer es auch sein möge.
Auch ein anderes unbestreitbar wichtiges historisches Faktum, das mit dem Schicksal der Juden in Bulgarien während des 2. Weltkrieges verbunden ist, darf nicht übergangen werden. Über diese Frage wurde viel geschrieben. In der letzten Zeit wurde sie von neuem erörtert. Tatsache ist, dass die Faktoren, welche die bulgarischen Juden vor der Deportation in die Todeslager bewahrt haben, vielfältig und von unterschiedlicher Gewichtung sind. Mit Recht muss hier bemerkt werden, dass die Bulgarische Orthodoxe Kirche in der Person ihrer hervorragenden höchsten Vertreter - wie des Metropoliten von Sofia Stefan, des Metropoliten von Vidin Neofit, des Metropoliten von Plovdiv Kirill und anderer - einen wesentlichen Beitrag zur Rettung der Juden geleistet hat. Sie hat das aus rein menschlichen christlichen Motiven gemacht.
Hier muss auch einiges zur Frage der Ökumenischen Bewegung gesagt werden - ein Thema, über das bei uns in der letzten Zeit viel diskutiert wird. Die Bulgarische Orthodoxe Kirche hat durch ihre Hierarchen und Theologen schon in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts an mehreren ökumenischen Initiativen aktiv teilgenommen. Hier muss man die Namen des Metropoliten von Sofia (des späteren Bulgarischen Exarchen) Stefan, des Metropoliten von Vraca Paisij und vor allem des bekanntesten bulgarischen Ökumenisten Prof. Protopresbyter Dr. Stefan Cankov erwähnen. Sie haben an der Arbeit des Weltbundes für internationale Freundschaft zwischen den Kirchen, in den Arbeitsgruppen ‘Glaube und Leben’ und ‘Glaube und Kirchenverfassung’ teilgenommen.
Bei der 3. Vollversammlung des Weltrates der Kirchen in Indien im Jahre 1961 trat die Bulgarische Orthodoxe Kirche dem Weltkirchenrat als Mitglied bei. Sie nahm aktiv an dessen vielseitiger Tätigkeit teil. Prof. Dr. Todor Sabev war durch viele Jahre Stellvertretender Generalsekretär des Weltkirchenrates. In den letzten Jahren hat sich die Situation geändert: In der obersten Kirchenleitung gewannen antiökumenisch eingestellte Personen die Oberhand. Als Folge davon wurde der Austritt der Bulgarischen Orthodoxen Kirche aus dem Weltkirchenrat beschlossen, der im Jahr 1998 erfolgte. Die Zeit wird zeigen, ob dieser Schritt richtig war.
In der neuesten Zeit kann ein ziemlich bedauerliches Faktum im Leben der Bulgarischen Orthodoxen Kirche nicht verschwiegen werden. Zu Beginn der 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts brachen unter dem Einfluss der Politik einige Metropoliten ihre kanonische Verbindung mit dem Heiligen Synod ab und gründeten einen neuen Synod, spendeten Bischofs- und Priesterweihen und schufen ihre eigene Verwaltung. Ihr Motiv bestand darin, dass der Bulgarische Patriarch Maxim angeblich unkanonisch gewählt worden sei. Es kam zu einer Kirchenspaltung, die auch heute - wenn auch in gemilderter Form - weiterbesteht. Das wirkt sich ungünstig auf das kirchliche Leben aus und förderte das Eindringen verschiedener christlicher und nichtchristlicher religiösen Strömungen. Der Anteil der Schismatiker im Klerus und unter den Gläubigen beträgt heute ca. 2 %, mehr als 83 % der Geistlichen und Gläubigen verblieben im Schoß der Mutter Kirche.
In der letzten Zeit entstand auch eine altkalendarische Bewegung im Zusammenhang mit dem Kirchenkalender, was die Mission der Orthodoxen Kirche in Bulgarien zusätzlich erschwert.
Die orthodoxen Christen sind überzeugt, dass schließlich und endlich die Wahrheit siegen wird.
Heute zählt die Bulgarische Orthodoxe Kirche in Bulgarien ca. 6 Millionen Mitglieder, die auf 11 Diözesen mit etwa 2600 Pfarren aufgeteilt sind. Es gibt auch zwei Auslandsdiözesen: die Diözese von West- und Mitteleuropa mit dem Zentrum Berlin und die Diözese von Amerika und Australien mit dem Zentrum New York.
Der Synodalverlag gibt die Kirchenzeitung ‘Cerkoven vestnik’ und die Zeitschrift ‘Duchovna kultura’ heraus. Er veröffentlicht auch Literatur für die religiöse Bildung und für den Gottesdienst. Jedes Jahr werden ein Wand- und ein Taschenkalender gedruckt.
Es gibt zwei Priesterseminare - in Sofia und in Plovdiv - und zwei Theologische Fakultäten - in Sofia und Veliko Tirnovo, sowie einen Theologischen Lehrstuhl in Shumen. Die Seminare bilden Geistliche und kirchliche Mitarbeiter aus. Die Fakultäten bilden auch Dozenten für die Geistlichen Lehranstalten, wissenschaftliches Personal und Religionslehrer an den Mittelschulen aus, wo der Religionsunterricht noch immer ein Freigegenstand ist. Die Orthodoxe Theologische Fakultät in Veliko Tirnovo bietet drei Studienrichtungen an: Theologie, Ikonographie und Sozialarbeit (im Stadium des Ausbaus).
Univ.-Prof. Dr. Totjo KOEV